Das trügerische Gedächtnis (Buchrezension)

Mit dem Thema Gedächtnis beschäftige ich mich schon sehr lange. In den letzten Jahren standen für mich vor allem Gedächtnistraining beziehungsweise Mnemotechnik im Vordergrund. Ein tolles Buch über den Weg zum Gedächtnis-Meister, das ich Anfang 2021 lesen konnte war Moonwalking with Einstein. Ich habe auch viel zum Thema Lernen gelesen. Da konnte ich mir das Buch von Julia Shaw „Das trügerische Gedächtnis“ natürlich nicht entgehen lassen.

Das Buch reißt den Aufbau des Gehirns kurz an und geht auch darauf ein, was denn nun eigentlich das Gedächtnis ist.

Es gibt ein episodisches Gedächtnis, in dem vor allem Erinnerungen an erlebte Geschehnisse gespeichert sind. Eine besondere Unterform des episodischen Gedächtnisses ist das Autobiografische Gedächtnis, hier geht es um Geschehnisse und Episoden, die man selbst erlebt hat.

Dann gibt es noch das deklarative Gedächtnis. Es beinhaltet die Erinnerung an Wissen und Fakten und das prozedurale Gedächtnis. Hier speichern wir, wie man Fahrrad fährt oder mit Gangschaltung fährt. Es geht also um bestimmte Prozesse, wie man etwas ausführt.

Gleichzeitig unterscheiden wir beim Gedächtnis zwischen implizierter Erinnerung – Dingen die ohne Mühe abrufbar sind und expliziten Erinnerungen, bei denen wir im Gedächtnis kramen müssen.

Falsche Erinnerungen

Das eigentliche Herzstück von Julia Shaws Werk ist allerdings nicht der allgemeine Überblick über das Gedächtnis. Viel mehr geht es um falsche Erinnerungen.

Gemeinhin glauben wir unser Gedächtnis gleiche einem Videorekorder. Wenn wir uns an etwas erinnern, dann sind wir felsenfest davon überzeugt, dass es sich genau so zugetragen hat. Schließlich sehen wir es ja genau so gerade vor unserem inneren Auge.

Doch die Wahrheit ist: das Gedächtnis ist enorm fehleranfällig und lückenhaft. Viel mehr ist es so, dass die Erinnerungen jedes Mal, wenn sie abgerufen werden neu konstruiert werden und entsprechend sind sie sehr anfällig für Verzerrungen.

Experimente zu falschen Erinnerungen

Ein bekanntes Experiment zur Manipulierbarkeit unserer Erinnerungen stammt von der US-amerikanischen Psychologin Elisabeth Loftus. Sie zeigte Probanden einen Film von zwei Autos, die in einem Unfall miteinander kollidierten.

Anschließend wurde ein Teil der Versuchspersonen gefragt, wie schnell sie die Geschwindigkeit der Autos einschätzten, als diese sich berührten.

Die andere Hälfte wurde gefragt, wie schnell die Autos waren, als sie ineinander krachten.

Und tatsächlich schätzten die Teilnehmenden in der „ineinander krachten“-Gruppe die Geschwindigkeit auf durchschnittlich 65 Stundenkilometer. Die „sich berührten“-Gruppe hingegen auf 50 Kilometer pro Stunde.


Doch auch andere Experimente zeigen sehr gut, dass man Menschen regelrecht falsche Erinnerungen einpflanzen kann. So manipulierte Julia Shaw in einem Experiment die Erinnerung von Erwachsenen. Und auch andere Wissenschaftler schafften es, dass sich Menschen plötzlich lebhaft an Dinge erinnerten, die sie in Wirklichkeit nie erlebt hatten.

Das trügerische Gedächtnis ist ein Buch, das uns zum Nachdenken bringt. Es erinnert uns an die eigene Fehlbarkeit und macht darauf aufmerksam, wie wichtig es ist die Fakten zu prüfen und sich nicht blind auf sein eigenes Gedächtnis zu verlassen. Selbst wenn man sich noch so sicher ist, dass etwas auf eine bestimmte Art passiert ist.

Das Buch eignet sich sowohl für Menschen mit wenig Vorwissen im Bereich Gedächtnis, als auch für fortgeschrittene Lesende gleichermaßen. Auch wenn man natürlich viele der Informationen auch in anderen Büchern findet. So deckt sich ein Teil zum Beispiel mit Alles nur in meinem Kopf (Buchrezension). Und auch mit vielen anderen Büchern über das Gedächtnis. Aber das liegt natürlich in der Natur der Sache. Vor allem die Basics zum Aufbau des Gehirns und des Gedächtnisses sollte man nicht unbedingt überspringen, nur weil sie sich in der Form auch schon in vielen anderen Büchern finden.

Dennoch denke ich, dass das Buch auch für Menschen, die das ein oder andere Experiment schon kannten noch einiges Neues beinhaltet.

Darüberhinaus eignet es sich sehr gut zum Verschenken. Es ist locker, kurzweilig und flüssig geschrieben.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!